Kita-Brandbrief an Bautzener Stadtrat: „Wir sind keine Zahlen“
Das Personal der Bautzener Stadt-Kitas hat sich mit einem Brandbrief an den Stadtrat gewandt. Im Zusammenhang mit dem umstrittenen Kita-Prüfbericht wird Oberbürgermeister Karsten Vogt „bewusste Manipulation“ vorgeworfen. Die Verfasser weisen die Behauptung zurück, dass die städtischen Kitas überversorgt seien.
Bedingungen wie Fehlzeiten, Zusatzaufgaben und Förderbedarfe tauchten in keiner Berechnung auf. Die Überlastung sei Realität, werde aber in keinem Prüfbericht abgebildet. „Der Schlüssel auf dem Papier ist eine Illusion.“ Das Kita-Personal fühlt sich durch den OB „diskreditiert und gegeneinander ausgespielt“. Die Verfasser des Brandbriefes forderten den Stadtrat auf, das „unwürdige Machtspiel zum Wohle der Familien, Kinder, Eltern und Beschäftigten der Stadt“ zu beenden. „Wir sind keine Zahlen.“
Vogt hatte den Bericht verteidigt. Er verwies auf die seit 2017 sinkenden Geburtenzahlen und der seit 2020 nahezu gleichen Personalzahl in den städtischen Kitas.
Brandbrief der Erzieherinnen und Erzieher der Stadt Bautzen an den Stadtrat
Sehr geehrte Stadträtinnen und Stadträte,
wir schreiben Ihnen, weil wir nicht länger zusehen können, wie aus Verantwortung Macht wird und wie aus unserer täglichen Arbeit ein politisches Spielfeld gemacht wird.
Seit Monaten werden Zahlen und Prüfberichte hin- und hergeworfen. Es geht um Prozentpunkte, Überhänge und Berechnungen, aber niemand spricht mit uns: den Erzieherinnen und Erziehern in den Gruppen. Wir sind es, die täglich die Verantwortung tragen, Ihre Kinder und Ihre Enkelkinder zu betreuen. Unsere Arbeit verdient Respekt, nicht Herabwürdigung.
Wir sind die, die eine Gruppe allein stemmen müssen, wenn eine Kollegin krank ist. Wir sind die, die Eltern auffangen, während im Rathaus gestritten wird. Wir sind die Leidtragenden einer Auseinandersetzung, die nicht wir begonnen haben, die aber wir ausbaden müssen.
Wir stellen klar: Unser Engagement und die Qualität der Betreuung scheitern nicht an einem angeblichen „Überhang“, sondern daran, dass die tatsächlichen Bedingungen wie Fehlzeiten, Zusatzaufgaben, Förderbedarfe in keiner Berechnung auftauchen. Der Schlüssel auf dem Papier ist eine Illusion. In der Realität reichen wir längst nicht aus, um allen Bedürfnissen gerecht zu werden: Kinder aus belasteten Elternhäusern, auffälliges Verhalten, Diagnosen, Sprachbarrieren, kulturelle Vielfalt, neue Erziehungsstile, wachsende Anforderungen an Dokumentation, Kooperation und Kommunikation. Hinzu kommen Fehlzeiten, Krankheitswellen, Überlastung all das ist Realität, aber in keinem Prüfbericht abgebildet.
Wir haben das Interview des Oberbürgermeisters mit Bestürzung gelesen, in dem er von einer „Zweiklassengesellschaft“ unter Erziehern spricht. Diese Behauptung, städtische Kitas seien überversorgt und benachteiligten freie Träger, ist eine bewusste Manipulation. Mit solchen Aussagen wird nicht aufgeklärt, sondern gespalten. Wir fordern Respekt und lassen uns nicht gegeneinander ausspielen. Die Behauptung, die Stadt würde „10 Millionen Euro zu viel“ in das städtische Personal investieren, ist fachlich falsch und moralisch unverantwortlich. Wir fühlen uns durch den Oberbürgermeister diskreditiert und gegeneinander ausgespielt. Wir haben Vertrauen verdient, keinen öffentlichen Tadel. Wir sind täglich das Gesicht der Stadt, der erste Ansprechpartner der Familien.
Der Oberbürgermeister selbst sagt, Bautzen müsse wieder wachsen, doch wer zieht in eine Stadt, in der Kitas kaputtgespart und gegeneinander ausgespielt werden? Ohne starke Kinderbetreuung gibt es keine starke Wirtschaft.
Wir spüren jeden Tag, was es heißt, wenn Politik auf dem Rücken derer gemacht wird, die am wenigsten Schuld tragen und am meisten leisten. Wir erleben, wie vermeintliche „Analysen“ zu Schlagzeilen werden, wie aus Missverständnissen plötzlich Vorwürfe entstehen, und wie aus berechtigtem Engagement für die Kinder eine Rechtfertigungsschlacht gemacht wird.
Wir fragen uns: Wo bleibt der Respekt? Wo bleibt das Vertrauen in die, die Tag für Tag das Rückgrat dieser Stadt sind? Wir sind keine Schachfiguren in einem Rathausspiel. Wir sind Menschen, die Verantwortung tragen für Kinder, für Eltern, für die Zukunft Bautzens.
Wir bitten Sie, sehr geehrte Stadträtinnen und Stadträte: Sehen Sie hin. Hören Sie uns zu. Hinterfragen Sie Darstellungen, die nur auf dem Papier Bestand haben.
Wir wollen keine Schlagzeilen, keine Machtspiele, keine Rechenspiele. Wir wollen, dass in dieser Stadt wieder Vertrauen regiert und nicht das Kalkül. Und wir erinnern daran: Ein öffentlicher Träger hat eine Fürsorgepflicht gegenüber seinen Beschäftigten. Doch derzeit erleben wir mehr Machtkampf als Unterstützung, mehr Misstrauen als Anerkennung.
Wir sind keine Zahlen.
Wir sind Menschen mit Verantwortung, Erfahrung und Herz.
Nun kommt die Weihnachtszeit, in der eigentlich Ruhe, Geborgenheit und Vertrauen herrschen sollten. Stattdessen erleben wir Unsicherheit, Anspannung und pure Angst der Erzieherinnen und Erzieher vor dem, was nach dem Jahreswechsel kommen könnte. Bewusst in Kauf genommen, um das Ego Einzelner zu retten.
Beenden Sie dieses unwürdige Machtspiel zum Wohle der Familien, Kinder, Eltern und Beschäftigten der Stadt Bautzen.
Mit erschöpften, aber aufrichtigen Grüßen
Die Erzieherinnen und Erzieher der städtischen Kindertageseinrichtungen der Stadt Bautzen
