- Straßenbahnfahrer Florian Schwind bewegt nicht einen Finger, drückt kein Pedal. Er ist mit der Tatra-Auto-Tram unterwegs.
- Ein alter Tatra-Wagen, der plötzlich allein fährt. Noch nur im Straßenbahnhof. Aber die Richtung ist klar: Chemnitz will auf die Überholspur in die autonome Straßenbahnzunkunft.
Chemnitz testet die Straßenbahn der Zukunft
Um Himmels willen, pass doch auf. Da liegen Kartons auf der Schiene!!! Doch Straßenbahnfahrer Florian Schwind bewegt nicht einen Finger, drückt kein Pedal, sondern sagt nur leise: „Kein Problem. Wir fahren heute autonom.“
Testfeld in Adelsberg
Seit vier Jahren wird im Straßenbahnhof Adelsberg geforscht. Auf einer 980 Meter langen Teststrecke probt die Chemnitzer Verkehrs-AG gemeinsam mit Hörmann Vehicle Engineering, IABG und FusionSystems die Zukunft der Straßenbahn. Bisher sind fünf Millionen Euro in das Projekt geflossen, gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.
Der Versuchsträger ist ein alter Bekannter: der Triebwagen 525 vom Typ Tatra T3D-M. Jahrzehntelang von Hand gesteuert, heute vollgepackt mit Sensoren, Rechnern und Software.
Sensoren und LiDAR
Das Ergebnis der jahrelangen Arbeit: Die Bahn fährt allein, bremst, erkennt Signale und hält an Haltestellen – oft sanfter als ein routinierter Fahrer. Hindernisse ab einer Größe von 50 Zentimetern werden zuverlässig erkannt, auch bei Regen, Nebel oder in der Nacht.
Das Herzstück heißt LiDAR. Die Technologie nutzt Laserstrahlen, um Entfernungen präzise zu messen und ein dreidimensionales Abbild der Umgebung zu erzeugen. Im Prinzip fährt die Bahn mit einer mobilen Computertomographie, die ihr Umfeld ständig neu berechnet.
Sicherheit im Vordergrund
Die Sicherheit steht an erster Stelle. Zunächst greift die Betriebsbremse, wenn ein Objekt auftaucht. Sollte das nicht ausreichen, springt die Notbremse ein. Kinder, die unvermittelt auf die Gleise laufen, würden genauso schnell erkannt wie ein Karton oder ein Fahrrad.
Stimmen aus dem Projekt
Dr. Volkmar Vogel von Hörmann erklärt: „Bislang sind fünf Millionen Euro in das Projekt geflossen. Weitere fünf Millionen sind jetzt notwendig, um Bahnen autonom im öffentlichen Verkehr fahren zu lassen.“ Er betont, dass sich mit einer optimierten Fahrweise bis zu 20 Prozent Energie und Verschleiß sparen lassen.
„Mit der Forschung direkt in Chemnitz sind wir ganz sicher führend in Westeuropa“, sagt Vogel. Nur in Moskau gebe es ein vergleichbares Projekt. Sein Ziel: Den Technologie-Vorsprung weiter ausbauen - und das System weltweit zu vermarkten.
Zurückhaltung bei der CVAG
David Joram, technischer Geschäftsbereichsleiter der Chemnitzer Verkehrs-AG, sieht die Entwicklung mit nüchternem Blick. „Wir sind ein Stück weit zurückhaltend, weil wir glauben, dass es noch viele Jahre dauern wird, bis Straßenbahnen im öffentlichen Raum autonom unterwegs sind“, sagt er.
Und er betont: „Wir brauchen heute Straßenbahnfahrer und werden auch in der Zukunft Straßenbahnfahrer weiter benötigen, weil wir in dem Test beziehungsweise in dem gesamten Projekt feststellen konnten – insbesondere auch die Techniker feststellen konnten –, dass die Herausforderungen und die Komplexität, die an einen Straßenbahnfahrer gestellt werden, so immens groß sind, dass die Technik heute überhaupt noch nicht in der Lage ist, diese Komplexität vollständig abzubilden.“
Von GoA 2 zu GoA 4
Aktuell liegt das System bei GoA (Grade of Automation)-Level 2 bis 3. Das bedeutet: automatisches Anfahren, Bremsen und Hinderniserkennung – vergleichbar mit einem modernen Travelsystem im Auto. Ziel ist GoA-Level 4. Dann fährt die Bahn vollautomatisch ohne Personal, gesteuert nur noch aus einer Leitstelle.
Noch Zukunftsmusik
Eine vollautonome Straßenbahn im Stadtverkehr? Noch weit entfernt. Aber die SmarTram zeigt, was möglich ist. Ein alter Tatra-Wagen, der plötzlich allein fährt. Noch nur im Straßenbahnhof. Aber die Richtung ist klar: Chemnitz will auf die Überholspur in die autonome Straßenbahnzukunft.